Mittwoch, 15. September 2004

Oeffentlicher Segen, nicht ohne Nachteile

Seit ein paar Tagen gehen Giles und ich in die Five Corners Branch Library, um umsonst online zu gehen. Was uns viel Geld und Zeit spart, denn sie ist gleich um die Ecke von unserem Zuhause.
Hier sind ausser uns fast nur Schwarze und die Klimaanlage ist die meiste Zeit viel zu stark aufgedreht (seit wir uns Jacken mitbringen allerdings nicht mehr, die Jacken liegen ungenutzt in Bibliotheksecken und stauben ein).
Was das Ganze etwas anstrengend macht: Eigentlich steht einem eine halbe Stunde Computernutzung zu. Und wir alle wissen, was eine halbe Stunde an einem Computer ist: nichts. Nach einem undurchschaubar willkuerlichen System bekommen wir aber hin und wieder kurz vorm Auslaufen der Zeit fuenf weitere Minuten geschenkt. Minuten, in denen man nichts neues anfangen will. Deshalb einen um den naechsten Beitrag ins Weblog hackt, anstatt eine persoenliche Email zu schreiben.
Letzte Woche fuehlte ich mich ausgesprochen ungerecht behandelt, als ich auf Giles wartete und sich ihre Zusatzminuten zu einer Dreiviertelstunde addierten.
Heute ist das alles vergessen, denn jetzt sitzen wir beide schon eine Stunde nebeneinander und hacken munter drauf los. Aber was wird aus Coney Island?

Michelle

Die erste Wohnung, die wir in Manhattan anschauten, wirkte eigentlich ganz vielversprechend: Eine lauschige Strasse in Hell's Kitchen mit Baeumen, niedrigen Backsteinhaeusern und (!) Feuerleitern.
Das Haus war aussen frisch gestrichen, auch das Treppenhaus wirkte nett. Die Wohnung, in der wir den Schluessel bekommen sollten, war allerdings muffig und etwas duester - aber es war ja nur die Nachbarswohnung. Als erstes sahen Angel und ich (Giles hing noch im Path Train fest) eine grotesk geschorene Katze mit Loewenmaehne und Loewenpuschel am hinteren Schwanzende. Die Frau, die uns geoeffnet hatte, hantierte schon wieder mit ihren Einweghandschuhen in der Kueche und sagte uns, wir sollten ins Wohnzimmer durchgehen, um mit Michelle zu sprechen. Dann sahen wir Michelle. Alles was ich ueber sie schreiben koennte, wuerde sich gemein anhoeren. (Sie sass, unfaehig sich zu bewegen, auf ihrem Sofa, in ihrem Nachthemd, grotesk fett mit Flohstichen uebersaet.)
Angel und ich konnten nichts sagen. Die Dame in der Kueche oeffnete uns die Nachbarwohnung. Wir waren froh, nicht mehr nebenan sein zu muessen und diese Beklemmung nicht mehr spueren zu muessen. Wohl auch aus dieser Erleichterung heraus haben wir einige Momente ueberlegt, ob wir uns in dieser Wohnung vorstellen koennten. Sie hatte immerhin zwei Zimmer, einen Kamin und einen Feuerleiterbalkon und war in dieser schoenen Gegend.
Aber sie war auch muffig, zerwohnt, ueberall standen Kisten und bedrueckende Fotos von alten Leuten und auf jedem Gegenstand eine lag eine eingewachsen erscheinende Schicht aus Fett und Staub. Auf dem Schlafsofa haette man ehrlicherweise nicht einmal sitzen moegen. Als ich Giles unten empfing konnte ich ihr nichts sagen, so gross waren meine Beklemmung und Unsicherheit. Ihr frischer Blick hat uns dann gerettet. Sie hat den Bann gebrochen und einen Fluchtimpuls ausgeloest. Angel und ich gingen - der Hoeflichkeit wegen (wir haben uns wirklich gefuerchtet) - noch einmal zu Michelle.
Das klingt wahrscheinlich nach verwoehnten Mittelklasse-Goeren, aber dieser Ort hatte einen woertlich zu nehmenden Trauerflor auf allem, was sich dort befand, Besucher eingeschlossen. Eine unentrinnbare Trostlosigkeit, die wirklich schwer zu verkraften war. Die uns vielleicht noch mehr beruehrt hat, weil wir uns ernsthaft fuer ein paar Minuten ausgemalt haben, dort fuer laengere Zeit zu leben.
Wieder auf der Strasse zu sein und sich in einem McDonald's die Haende waschen zu koennen, das tat danach unbeschreiblich gut.

Mr. Softee

Um noch ein bisschen auf dem Maedchen-Trip haengen zu bleiben: Immer, wenn Giles, Angel oder ich einen Mr. Softee-Ice-Cream-Van sehen oder sein Gebimmel irgendwo in der Ferne hoeren, muessen wir in "Mr. Softee!!!"-Gebruell ausbrechen. Das ist ein ungeschriebenes Gesetz.
Aber das hat natuerlich auch seinen Grund. Als Giles und ich in Hoboken spazieren waren, verschnauften wir in einem lichtdurchfluteten Park mit haufenweisen Kindern, Muettern, Omas, Hunden und Schachspielern. Bevor man ihn sah, konnte man schon die Mr. Softee-Melodie hoeren, was dann passierte klingt, wie so vieles, das wir hier erleben, wie aus einer schlechten Fernsehserie: Kleine Maedchen mit Dollarscheinen in den Haenden RANNTEN auf Mr. Softee zu und innerhalb von ein paar Sekunden hatte sich eine Riesenschlange gebildet.
Giles und ich zoegerten noch, aber nicht allzu lange. Wir mussten lange anstehen, aber es machte uns nichts aus. Und es lohnte sich. Ich verkneife mir jetzt mal Erguesse ueber das leckerste Softeis der Welt ...


softee

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